Rezension "Hänsel & Gretel"

Internationales Puppentheaterfestival Erfurt 2004



Kunstfränkisch aufgetischt

Ein etwas ramponierter brauner Tisch mit gedrechselten Beinen ist die Bühne. Warum? Da es bei „Hänsel und Gretel“ ums Essen geht, wird die ganze Geschichte aufgetischt. Das ist die überraschende fränkische Logik der Aufführung. Natürlich können die starren, der Volkskunst nachempfundenen Standfiguren nicht essen. Aber gegessen muss werden. Also besorgt das der (auch im Wortsinn) hinter den Figuren stehende großartige Spieler Tristan Vogt für sie. Ein Griff in die Haare, kantige Bewegungen und der raunzende Kunstdialekt (Fassung Fitzgerald Kusz) genügen, um Vogt in einen Waldschrat zu verwandeln, der in dieser Welt zuhause ist. Eine Welt, in der eine Taschenlampe den Mond vorstellt, zwei Bäume, Stein und Stern wie ein Chor über das befremdliche Tun der Menschen räsonieren und eine Hexe Appetit auf Kinderfleisch hat, weshalb sie am Feiertag das finale rauchende „Feier“ in der Tischschublade entzündet.

Waaßt wos, Hänsel? Ich glaub, mir senn im Himmel! - Im Himmel? Nou senn mer ja scho dood!

Eine besondere Delikatesse...

...ist die Animation dieser Figuren, die, sollte man meinen, nichts als stehen können. Aber der Spieler hilft ihnen auf die Sprünge. Deshalb können sie gehen, liegen, sich aufrichten, unverwechselbar sprechen, sogar singen (mithilfe einer angeknipsten CD), überlegen, eingesperrt werden, Steine tragen, Feuer anzünden usw. Ja, an der markanten Stelle, wo die Kinder das erste Mal satt werden, können sie sogar essen. Es gibt nämlich Joghurt, in den sie kopfüber gesteckt werden. Anschließend läuft der Schmand an ihnen herunter, weshalb die Hexe ein Bad anordnet, worauf sie in den blechernen Wassereimer unter dem Tisch geworfen werden...
Genug des Schwelgens in den ebenso simplen wie originellen Lösungen (Regie: Joachim Torbahn und Friederike Krahl). „Tristans Kompagnons“ heißt die famose Truppe, die mit Kunstmitteln herstellt, was wie fränkische Volkskunst einherkomt, aber vielleicht Kunstvolkskunst genannt werden könnte. Das bedeutet: Volkskunst minus Verlogenheit, Kitsch und Oberflächlichkeit; plus Realitätsbewußtsein, Lakonie und das, was man vielleicht nicht nur in meiner sachsenanhaltischen Heimat „Hinterfotzigkeit“ nennt. „Hinterfotzig“ ist weder gut noch böse, sondern etwas Drittes, das beides einschließt. Genau das meine ich!
Ernst-Frieder Kratochwill

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